Stuttgart 21 nennt sich das ehrgeizige und meiner Meinung nach auch etwas größenwahnsinnige Bauprojekt am Stuttgarter Hauptbahnhof.
Der historische Bahnhof in Stuttgart war (bzw ist) ein Kopfbahnhof. Bisher endeten alle Gleise vor dem historischen Bahnhofsgebäude. Das diese Bauweise für das heutige Verkehrsaufkommen nicht mehr ideal ist brauche ich wohl nicht näher zu erklären. Jeder Zug der hinein fährt muss in die Richtung aus der er kam auch wieder raus fahren, das braucht mehr Zeit und mehr Platz als ein normaler Bahnhof wo die Züge einfach durch fahren können.
In Stuttgart fehlt schlicht und ergreifend der Platz um den Bahnhof einfach in einen Durchfahrtbahnhof umzubauen. Das Innenstadtgebiet von Stuttgart ist dicht gedrängt und sehr zugebaut. Denn Stuttgart liegt in einem “Kessel” umgeben von Hügeln, die schon längst alle auch schon zum Stadtgebiet gehören und ebenso dicht bebaut sind findet man einfach keinen Platz mehr für zusätzliche Bahntrassen.
Darum kam man auf die Idee einen unterirdischen Fernbahnhof zu bauen. Hier sollten dann die ICEs und co in viel kürzeren Abständen durchfahren und so die Verkehrslage entlasten.
Stuttgart 21 trifft auf Wiederstand
So war die Idee diesen riesigen und aufwendigen Bahnhof bis 2021 zu bauen und deshalb gab man diesem Projekt den Namen “Stuttgart 21”. Doch schon vor Beginn der Bauarbeiten gab es erheblichen Wiederstand in der Bevölkerung und bei Umweltschützern. Jahrelang wurden schon die ersten Vorbereitungen blockiert und gestört.
Bezeichnend dafür waren die Protestdemos. Doch weder Baumbesetzer noch Demonstranten konnten die Planungen aufhalten und so haben die Bauarbeiten mit Verspätung begonnen.
Gegner dieses Bauvorhaben warten schon sehr früh das der Untergrund in Stuttgart nicht wirklich geeignet sei. Jetzt wo die Bauarbeiten laufen gibt es fast wöchentlich Meldungen über unerwartete Probleme und jeder Bauabschnitt wurde bisher viel aufwendiger und teurer als zuvor geplant. Und alles verzögert sich mehr und mehr.
Bahnhof umbauen mit Fahrgästen
Eines der Hauptprobleme ist auch das der Zugbetrieb nicht unterbrochen werden kann, denn die ganze Region ist auf Pendler angewiesen und es wäre gar nicht möglich alle Reisenden auf dem Straßenweg zu transportieren. Deshalb fahren die Züge weiterhin. Allerdings ende die Bahnsteige ein ganzes Stück eher und die Fahrgäste werden über fast wöchentlich anders verlaufende provisorischen Brücken durch das Baustellengelände geleitet.
Umsteigen am Stuttgarter Hauptbahnhof
Gestern Abend bin ich in Stuttgart angekommen und musste am Hbf umsteigen auf die S-Bahn. Das habe ich schon oft gemacht, denn meine Schwester wohnt in Stuttgart, und ich besuche sie seit Jahren regelmäßig mit dem Zug. Bisher dauerte der Umstieg von den Zügen auf die S-Bahn nur wenige Minuten. In der Bahnhofshalle gab es einen Aufzug direkt zu der S-Bahnstation.
Doch gestern brauchte ich für den Weg vom Zug bis zum Bahnsteig der S-Bahn über 15 Minuten! Ich hatte einen kleinen Trolleykoffer dabei, der nicht sehr schwer ist. Und ich bin bin wie ihr wisst recht gut zu Fuß unterwegs.
Die Gleise enden momentan mindestens 500 m von der alten Bahnhofshalle entfernt. Hier befinden sich kleine provisorische Verkaufsstände für Brötchen und Getränke, eine eigentliche Bahnhofshalle gibt es momentan nicht.
Gestern wurden die Reisenden mittels riesiger Plakate und Zeiger und Linien auf dem Boden im Weiten Bogen um das Baustellengebiet geleitet. Zu meiner Überraschung musste ich vom Gleis kommend nach links gehen, obwohl ich weiß, dass die S-Bahn-Station rechts vom Bahnhof liegt.
Überall Bretterwände und Wegweiser, an mancher Stelle sogar noch zusätzlich Personal die den Fußgängern sagen können wo es lang geht. Der Weg ist gut ausgeschildert und mit Holzplatten und Rolltreppen auch so ausgestattet, dass man mit Gepäck oder Kinderwagen gut voran kommt. Aber es ist eine weite Strecke!!! Deshalb waren auch nur sehr wenige Leute mit Rollatoren oder gar Rollstühlen unterwegs.
Ich habe leider versäumt, auf den Schrittzähler zu sehen, aber ich denke ich bin da um den Bahnhof herum mindestens 1 km gelaufen.
Wie beim Wandertag
Die Bewegung der Menschenmassen in den Gängen und Brücken erinnert beinahe an einen Wandertag oder eine Völkerwanderung. Dabei ist allerdings positiv anzumerken das hier wenigstens das “rechts gehen” echt funktioniert. Und wer sehen bleibt denkt auch meist daran rechtzeitig an den Rand zu gehen, so dass es keine Stauungen gibt.
Aber verwirrend und beängstigend für ältere oder nicht so gut orientierte Personen ist das ganze schon sehr verwirrend. Der genaue Verlauf des Weges ändert sich ständig. An einer Stelle musste wir gestern nach einer Rolltreppe einen U-Turn machen und um sie herum gehen. An irgendwas drum herum orientieren ist so gut wie nicht möglich, denn der Weg ist seitlich mit Bretterwänden verschalt.
Heute morgen alles anders?
Heute morgen mussten wir wieder am Hauptbahnhof von der S-Bahn zum Zug. Und ganz anders als sich erwartet hätte, mussten wir dieses Mal auf der anderen Seite um die Baustelle herum laufen. Diesmal ging es nicht durch hölzerne Tunnels sondern draußen über den ehemaligen Parkplatz und die angrenzende Kreuzung. Zum Teil erkennt man noch die ehemalige Straßenmarkierung, die nun mit einem Gelben Streifen übermalt ist. An jeder Ecke Schilder “Folgen Sie der gelben Linie”
Meine Schwester ist Ortskundig und sie hat festgestellt, dass wir wenn wir an der nächsten S-Bahn-Station ausgestiegen wären und nicht an der “Hauptbahnhof” wir vermutlich weniger weit hätten laufen müssen. Diese Art der “Passantenumleitung” ist nicht nur verwirrend und anstrengend sondern auch für Personen mit Gehbehinderung überhaupt nicht machbar.

Wo ist der Bahnhof?
Auf dem Bild oben, das ich heute morgen gemacht habe seht ihr den Hauptbahnhof der Landeshauptstadt… wie ihr seht, seht ihr nicht viel…
Im Bildhintergrund, hinter dem linken Kran und der Laterne erkennt man die provisorischen Überdachungen der Gleise… da wollen wir hin, müssen aber rund herum um das Loch in der Mitte. Das eigentliche Bahnhofsgebäude ist nicht mehr zu sehen, das liegt rechts vom rechten Bildrand.

Der neue Bahnhof
Dieses Bild ist nun von der anderen Seite gemacht. Ich habe durch einen Bauzaun hindurch fotografiert, was nur an wenigen Stellen möglich ist. Ganz links hinter dem Kran kann man eine Fassade des alten Bahnhofsgebäudes erkennen und rechts im Bild erahnt man drei Tunnelröhren. Ich denke, dass man kein Tiefbau-Architekt sein muss um zu erkennen, dass es wohl dieses Jahr nichts mehr wird mit der Eröffnung von dem neuen Tiefbahnhof.
Ironische Stimmen sagen ja schon das “Stuttgart 21″so heißt, weil der Bahnhof im 21 Jahrhundert fertig werden soll.
Mein Fazit:
Wenn Du technisch interessiert bist und Dir die Baustelle angucken willst ist Stuttgart interessant. Aber wenn nicht rate ich von einem Umstieg in Stuttgart dringend ab. Wenn es nicht zu umgehen ist das unbedingt viel viel mehr Zeit zum Umsteigen einkalkulieren!
Update am 11.11.:
Wenn Dich das Bauvorhaben näher interessiert, vom 6.-8. Januar 2022 finden von 10-16 Uhr die “Tage der offeneren Baustelle” statt. Der Eintritt ist frei. Näheres unter ITS
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